Montag, 7. September 2009

Mein zweites Semester.

Oder: Wie ich mich ein halbes Jahr so fühlte, als ob ich in einem Deutschen Film auf Stütze lebte (nur ohne Feinripphemd, aber mit Jogginghose)

Das war es also, mein zweites Semester. Es fing ja noch ganz gut an, damals Anfang April. Ich war motiviert und freute mich auf neue Kurse, neues Wissen. Aber nachdem ich schon beim Zusammenstellen des Stundenplans feststellte, dass ich mit allem Drehen und Wenden nicht über 12 Semesterwochenstunden kam (Im Stundenjargon cool abgekürzt mit SWS), dämmerte es mir langsam, das hier irgendwas nicht okay ist. Kunstgeschichte mochte ich; ich machte allerdings Dinge, die so langweilig waren wie mein Deutsch-LK oder die so uninteressant waren, dass ich nur alle zwei Wochen hinging und mir von meinen Kommilitonen die Unterschrift für die beschissene Anwesenheitsliste fälschen ließ. Philosophie war in meiner Sympathie so weit gesunken, dass ich nur eine Veranstaltung besuchte. Und diese nach zwei Wochen wieder abwählte. Philosophie ist großartig, aber nicht, wenn man sich nicht vorher über das Profil der Uni informiert hat und jetzt mathematische Philosophie machte. Logik! Irgendwann im Mai fiel mir dann auf, dass hier irgendwas falsch läuft. Zuerst dachte ich, dass es an meiner Einstellung liegt. Aber nachdem ich nach und nach all meine Kurse abwählte, stellte sich mir die Frage, ob ich überhaupt das Richtige studiere. Ich dachte nach. Nicht sehr lange. Und auf diese sehr kurze Zeit des Nachdenkens über meine Studienfächer folgte ein sehr schmerzhaftes Hauen mit der Flachen Hand gegen die Stirn. Was wollte ich seit ungefähr zehn Jahren studieren? Worauf habe ich mich vor vielen Jahren so gefreut? Warum habe ich früher überhaupt Abi machen wollen? Wovon handelten die meisten Sachbücher (außer den Vogelbüchern), die ich besaß? Archäologie! Ich musste allein eine Woche damit verbringen laut fluchend durch meine Wohnung zu laufen und mir an den Kopf zu schlagen. Warum habe ich da nicht schon vor einem Jahr drüber nachgedacht?! Archäologie. Die geilere und spannendere Variante von Kunstgeschichte. Zulassungsfrei! In Zwei-Fächer-Bachelor-Ausführung an allen größeren Unis erhältlich: Klassische + vor- und frühgeschichtliche Archäologie. Archäologie! Gottverdammt. Wie hab ich mir jahrelang Bücher über antike Kulturen reingezogen und konnte nicht aufhören damit. Nachdem ich die nächsten drei bis vier Woche damit verbracht habe mich in merkwürdiger Euphorie zu wundern, warum ich es gerade in dem Jahr meines Abiturs vergessen habe über Archäologie nachzudenken, guckte ich mich nach Universitäten um, die diesen Studiengang anbieten. Münster? Oder vielleicht Hamburg? Ich beschloss mich an beiden zu bewerben und mich in diesem Semester vollständig auf meine Sprachenkenntnisse zu konzentrieren. Weil ich seit einigen Jahren gerne Französisch lernen wollte, habe ich den A1-Kurs des GER (Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen) belegt. Nach zwei - drei weiteren Wochen im Semester war dies der einzige Kurs, den ich noch besuchte. Dienstags von 18.30 bis 20.00 und mittwochs von 14.00 bis 15.30. Mein Leben verlief von nun an entspannt. Ich stand auf, wenn ich aufstehen wollte. Wenn ich etwas für die Uni tat, dann putzte ich meistens und beschrieb dabei gedanklich entweder den Weg von meiner Wohnung zur Uni oder meine Familie auf Französisch. Ich lernte in dieser Zeit Bier zu exen, was ich vorher als unmöglich erachtete. Ich malte sehr viel und wurde nicht nur von den Dämpfen des Lösungsmittels breit. Ich entdeckte, dass M.s Fruchtbowlen Werke des Teufels waren und man nach dem Genuss jener mindestens neun Stunden schlafen musste. Auch meine Alltagsrituale änderten sich: Ich bin in diesem halben Jahr keinem einzigen Verkehrsmittel hinterher gerannt, weil ich eh genug Zeit hatte. Wenn ich zu meinen Eltern fuhr, wie so oft in dieser Zeit, dann fuhr mein Zug um 13 Minuten vor der nächsten Stunde. Ich schaute von meinem Fenster aus mit dem Fernglas auf den Busfahrplan und machte mich gemächlich, meist vorher eine rauchend, auf den Weg dorthin. Am Bahnhof kam ich trotz provozierter Langsamkeit erst eine halbe Stunde vor Abfahrt des Zuges an, so dass ich mir immer einen Kaffee und eine taz kaufen konnte und am Bahnsteig noch eine rauchte. Ich entwickelte Rituale fürs Zu-viel-Zeit-Haben. Nach dem Duschen trocknete ich mich nie ab, sondern zog nur meinen Bademantel an und wartete irgendwo in meiner Wohnung darauf, dass ich trocken wurde. Beim Weckerklingen stand ich nie sofort auf, sondern blieb noch mindestens eine Stunde im Bett liegen. Dadurch veränderte sich auch mein Tagesrhythmus. Im ersten Semester war ich so stolz auf mich, weil ich meistens um 2.30 ins Bett ging und um 9.00 aufstand. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben Zeit zu Frühstücken. Im zweiten Semester warf ich diesen perfekten Schlafrhythmus wieder über Bord und ging dann ins Bett, wenn ich Lust darauf hatte. So bekam ich nur äußerst selten die Zeit zwischen 6 Uhr morgens und 12 Uhr mittags mit. Nachdem ich in meiner Nachmabiphase alle Simpsonsfolgen durchschaute, guckte ich nun alle guten Serien, auf die ich Lust hatte, zum Beispiel Dexter, Malcolm Mittendrin und How I Met Your Mother. Durch meinen beinahe wöchentlichen Leer-Aufenthalt traf ich mich desöfteren mit Mo. sonntags im Mulligans auf ein paar Kristallweizen mit Zitrone. Anfang Juni beschloss ich niemandem von meinem bevorstehenden 21. Geburtstag zu erzählen und erlebte daraufhin die entspannteste und tollste Geburtstagsfeier meines Lebens: S. war zufällig in Osnabrück, am Nachmittag waren wir im Zoo, Abends trank ich Bier unter der Dusche, gegen Mitternacht gratulierten mir ca. 3 Leute inklusive S. Das sind Momente, in denen man beschließt nie wieder von seinem Geburtstag zu reden. Einen Monat später war ich mir eigentlich schon sicher, dass ich nach Hamburg ziehen möchte und ich fing damit an mir ein WG-Zimmer zu suchen. Das war gar nicht so einfach, schließlich war ich „Osnabrücker Wohnungsmarkt im Juni“-verwöhnt; ich erhielt meine großartige Wohnung innerhalb von 30min auf dem ersten Besichtigungstermin. Ab Mitte Juli wurde es stressig und es hörte irgendwie nicht mehr auf. Ich bestand meine Französischprüfungen überraschend mit 1.7, obwohl ich jahrelang davon überzeugt war kein Gefühl für Sprachen zu haben; ich fuhr von Prüfungen und Wohnungsbesichtigungsterminen ausgelaugt zum KJO Sommerlager, verbrachte danach erneut eine Woche auf Jo.s Sofa in Jo.s und S.s WG in Hamburg und war danach mit S. wandern in der Eifel – Großartige Sache, erzähle ich bei Gelegenheit auch noch mal. Im Schnitt verbrachte ich zwischen Mitte Juli und jetzt vier Tage am gleichen Ort. Irgendwann bekam ich eine SMS, in der mich ein Mitbewohnersuchender fragte, ob ich nicht noch Interesse hätte dort einzuziehen. Ich sagte sofort zu. Knapp halb so groß wie meine alte Wohnung, gleich teuer, in der Dusche wohnt der Schimmel, es gibt eine Nachtspeicherheizung, aber hey! Hamburg Bahrenfeld, 4km bis zur Sternschanze, in 5min kann ich zu Fuß drei verschiedene Supermärkte, eine 24h-Tankstelle, die Haspa und die Bushaltestelle erreichen. 15 Minuten bis zum Dammtor (Uni), 20 Minuten bis zum Hauptbahnhof. Fjen, Alter. So wurde ich vor einer Woche die Mitbewohnerin von O. Der ist auch 21, trinkt gerne Bier und als Kacklektüre gibt es auf dem Klo die Bravo Girl. Nachdem ich drei Tage dort wohnte, beschlossen O., seine Freundin und ich einen Hannah Montana-Schrein in der Wohnküche zu bauen. Es wird viel Asifernsehen geguckt, der Ofen ist dreckig, O. freute sich mehr über die Kaffee- als die Waschmaschine, welche ich beide mitbrachte, und am ersten Abend spielten wir bis 4 Uhr morgens Saufspiele. Ich fühle mich wohl.

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