Wie ich neulich mit Dingen um mich warf.

Ich bin ein durchaus friedlicher und selbstbeherrschter Mensch. Das mag man als aufmerksamer Leser dieses Blogs vielleicht gar nicht denken. Aber es stimmt wirklich. Wenn ich cholerisch werde, dann meist nur in Gedanken; auch schreie ich eher selten. Das mag auch daran liegen, dass mir jede sinnlose, überflüssige oder laute Auseinandersetzung zuwider ist. Mein Geduldsfaden ist ein dickes Schiffstau, welches lange braucht um mal durchzuschimmeln. Manchmal allerdings, da nimmt jemand eine Motorsäge und versucht das Schiffstau durchzuschneiden. So wie neulich zum Beispiel.

Ich stand gegen Mittag auf, es sind Semesterferien und das einzige, was im Terminkalender steht, sind Semesterferien. Ich nahm mir vor einen lauen Lenz zu machen und lag nach dem Aufwachen noch ein-zwei Stunden musikhörend im Bett, bis mich der Hunger in die Küche trieb. Ich malte mir schon ein gemütliches Frühstück aus (oder einen „Brunch“, was ja eigentlich das gleiche ist, aber „brunchen“ klingt um die Mittagszeit sozial kompatibler), mit dem ganzen Programm aus Eiern, Espresso, Schinken und so weiter. Außer mir war nur noch der – ich weiß gar nicht wie sie zueinander stehen. Sagen wir mal: Außer mir war nur noch der Sozius Ch. von Mitbewohner Mo. im Hause und vergnügte sich an einer der 90er-Spielekonsolen in Mitbewohner To.s Zimmer. Da man an To.s Zimmer auf dem Weg zur Küche vorbeikommt, leistete ich ihm drei Runden Super Mario Kart Gesellschaft, um dann zum wohlverdienten - 2. beim Star Cup, hey! - Frühstück aufzubrechen.

Als ich dort ankam, musste ich geschüttelt von Emotionen erst einmal in der Mitte der Küche stehen bleiben. Eigentlich führten wir die Regel „Wer den Tisch versifft, entsifft ihn auch wieder“ ein. Allerdings hapert es ein wenig mit den Reinlichkeitsregeln der WG. Mo. beteuerte am Vorabend noch er hätte die Küche aufgeräumt, was zu meinem nächsten emotionalem Dilemma führte. In der Spüle standen Pfannen und Dosen und versuchten den Wasserhahn zu berühren. Es fehlten nur noch fünf Zentimeter. Irgendjemand wusch zudem noch Wäsche und der Abwasserschlauch hing wie immer fidel in der Spüle. Unbedacht war allerdings, dass das Abwasser die Töpfe spülte und somit Bestandteile aller erdenklichen Nahrungsmittel aus diesen herauslöste. Diese verstopften den Abfluss, so dass das Wasser in der Spüle nur durch diesen klugerweise vom Erfinder des Waschbeckens eingeführten oberen Notablauf entwich. Das sah aber alles eher kritisch aus, weswegen ich mich zunächst daran machte die Badenden aus dem Becken zu holen. Damit kam ich zum nächsten Hasssteigerungspunkt: Nicht nur, dass an den Badenden Reste vergangener Mahlzeiten klebte, zudem war jedes Teil durch die Hilfe des warmes Waschmaschinenabflusswassers über und über mit einer schmierigen Ölschicht bedeckt. Hasserfüllt stellte ich zwei Pfannen und Töpfe auf den Boden. Irgendwann an diesem Punkt musste es gewesen sein, als ich durchtriefte Küchenrolle oder Klopapier neben der Spüle fand und gegen die Wand der Küche schleuderte. Rage-bedingte Amnesie lässt mich das aber nicht mehr genau sagen. Ich erinnere mich allerdings gut daran, dass ich in diesem Moment nicht mehr hassen, sondern nur noch lachen konnte, da der nasse Batzen unauffällig neben der Tafel in der Ecke des Raumes an der Tapete kleben blieb. Hin- und hergerissen zwischen lachendem Wahnsinn und purem Hass wusch ich zumindest die Hälfte der Öltöpfe ab.

Nachdem ich jetzt wenigstens den Wasserhahn benutzen konnte, wischte ich beherzt den verklebten und krümeligen Tisch ab. Und den klebrigen Salzstreuer gleich mit. Als ich ihn auf das Regal über dem Tisch stellen wollte, griff ich in irgendetwas ekelhaftes. Es schien, dass jemand sich eine köstliche Honigstulle zubereitete, dabei allerdings unvorstichtig vorging und den Honigdeckel derart verschmierte, dass das halbe Regal voller Honig war. Da ich gerade so gut in Fahrt war, schmiss ich den Honig ebenfall quer durch den Raum. Er landete irgendwo in der Nähe der Spüle. Auf dem Regal fand ich ein Gewürzbehälter und wollte diesen ordnungsgemäß wieder in diese IKEA-Metallkäfige an den Metallstangen stellen. Dort sah es allerdings so aus, als hätte jemand den gesamten Korb mit Curry paniert. In unmittelbarer Nähe des Currykorbes lag zudem ein dreckiges und – wen wundert es – klebriges Messer auf dem Küchenschrank. Erneut warf ich, diesmal in Richtung Tür, sodass es dem nassen Batzen beinahe Gesellschaft leistete. In diesem Moment betrat Sozius Ch. den Schauplatz des unendlichen Hasses. Wäre er zehn Sekunden früher hereingekommen, hätte ich ihn wahrscheinlich schwer verletzt. Ich versuchte mich zusammenzureissen und sagte nur was von: „Hier ist es sehr dreckig“. Er redete sehr leise und ruhig und sagte, dass er jetzt zu einer Freundin geht und verschwand leise aus der Küche und aus der Wohnung.

Ich verbrachte etwa eine dreiviertel Stunde mit Aufräumen, bevor ich mit gutem Gewissen frühstücken konnte. Es schmeckte mir nicht, der Hass hatte mir den Tag auf weiteres verdorben. Das ganze ist jetzt eine gute Woche her und seitdem war ich sehr abweisend meinen Mitbewohnern gegenüber. Ich war vier Wochen lang auf einer Grabung und brauchte danach erstmal ein bis zwei Wochen, bis die Wohnung wieder aussah wie vorher. Ich machte meinem Unmut zwei Tage später zwar Luft und weitere zwei Tage hielt sich alles sauber, bis mir auffiel, dass wieder nur ich aufräume.

Meine schlechte Laune hielt sich bis heute morgen. Mitbewohner Mo. stand vor der Spülmaschine, auf der ein paar Geschirrteile standen, die entweder zu angetrocknet für die Spülmaschine (altes Modell) waren oder nicht hineingehörten (Holzbrettchen und To.s gutes Messer – mit dem Messer warf ich übrigens auch). Nachdem er sich das ein paar Sekunden lang anschaute, drehte er sich um und fragte mich warum Dinge auf der Spülmaschine stehen. Ich erklärte es ihm, er antwortete mit einem Hm und begann die vertrockneten Teile trotzdem einzuräumen. Ich schaute mir das an und sagte nichts. Plötzlich drehte Mo. sich um und fragte mich: „Wieso mach ich das eigentlich?“ „Warum sollte ich das machen?“, erwiderte ich. „Du hast in den letzten Tagen hier doch eh nichts gemacht“, sagte er. In Gedanken ging ich durch, was ich ich in den letzten drei Tagen für die Gemeinschaft tat: Ich kochte zwei aufwendige Mahlzeiten für die komplette WG, wusch alles dafür benutzte wieder alleine ab, backte einen Kuchen, kümmerte mich darum, dass Jo. endlich das Katzenklo saubermacht und To. seinen Putzplandiensten nachkommt, räumte mit Jo. die Abstellkammer auf, putzte die Fenster und fütterte die Katze. Dennoch habe ich einige Dinge bewusst nicht mehr getan, z.B. wischte ich den Tisch nicht mehr ab, fegte nicht mehr und kümmerte mich eben nicht mehr um das dreckige Geschirr der Anderen. „Ich habe beschlossen nicht mehr so viel zu tun“, sagte ich daraufhin. „Hm“, sagte Mo. und wollte beinahe das dreckige Geschirr in die Spüle stellen, während die Waschmaschine daneben fröhlich Kochwäsche wusch. Ich bekam beinahe Schnappatmung und er stellte es doch noch auf den Rand. Später räumte ich es wieder auf die Spülmaschine.

Genau in dieser Situation wurde mir bewusst was hier denn nicht funktioniert. Vielleicht schreibe ich ein Manifest mit dem Titel: „Wer sieht, der handelt – Über Verantwortungsbewusstsein in einer WG“. Ich nahm sehr lange blind an, dass jeder sich ein bisschen Zeit nimmt und mal den Tisch abwischt oder sonst was tut, aber anscheinend war ich mit dieser Meinung alleine. Das wird sich bald ändern. Oder ich fange an Steine zu werfen.

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